Paris, den 23.6.1945
„Meine liebe Frau Kronenberg,
vor wenigen Tagen erhielt ich Ihren freundlichen Brief und ich danke von ganzem Herzen (il y a quelques jours que jái recu votre gentille lettre je vous remercie de tout mon coeur).
Ruth hat mir schon ‚sooooo‘ viel von Ihnen und Marc [gemeint ist Max, der Bruder] erzählt – sie sagte immer ‚meine‘ Ma.
Nun will ich ein wenig von uns erzählen. Ich lernte Ruth am 15.5.40 kennen – wir wurden zur gleichen Zeit interniert. Wir lebten dann drei Monate im Camp de Gurs zusammen und wurden dann befreit. Dann kam Carcassonne. J‘ai supplié Ruth de venir à Paris (ich bat Ruth nach Paris zu kommen) – bien entendu avec moi (natürlich mit mir) – mais (aber), sie wollte niemals auf mich hören. Es war auch wirklich sehr schwierig, eine Entscheidung zu fassen. Daboard nour étions très faible (zuerst waren wir sehr schwach [?, d. A.]). Wir arbeiteten ein wenig, verdienten [?, d. A.] und wir waren noch zu müde, um wieder neue Entschlüsse zu fassen. Mitte des Sommers 42 fassten wir den Entschluss mit einigen Freunden von uns an das Meer zu fahren. Die Reise tat uns sehr gut. . Wir bleiben drei Wochen in Collioure. Auf der Rückreise hielten wir uns für einige Stunden in Perpignan auf. Dort geschah das Unglück. ½ Stunde vor der Abfahrt unseres Zuges Generalrapel [sie meint vermutlich Generalappell, d. A.] der Miliz. Nach Vorzeigung unserer Papiere wurden wir sofort in ein Gefängnis überführt (Unsere Freunde-Franzosen wurden freigelassen). Jude – in Deutschland geboren – was konnte einem schlimmeres passieren.
Einmal Jude – Gefängnis — ein anderes Mal in Deutschland geboren – camp de concentration. Jahre (Depuis des années).– Wird die Straße, ewig ‚für unser Unglück (Va la route ‚eternel‘ notre malheurse destinées).– Und für was (Et quelle destiné). Ich denke, wir haben genug gelitten (Je crois que nous avons assez souffert).– Nach drei Tagen gab man mir meine Freiheit und musste Ruth zurücklassen (23.8.42).
Chère Ma (Meine Liebe) – croyes moi (glauben Sie mir) – j’ai horriblement souffert (ich litt schrecklich). – Aber ich glaubte ganz sicher in Carcassonne eine Befreiung für Ruth zu erhalten. – Es war unmöglich – kein Mensch wagte etwas contre la Miliz (gegen die Miliz). – Hélas (leider) – Ruth hatte alles gegen sich. – Aber glauben Sie mir – auch ich habe meine Mutter und meine zwei Schwestern deportiert (11.1.1943) Niemals eine Nachricht – niemals ein Lebenszeichen – Glauben Sie mir – auch ich habe schon vieles versucht – kein Mensch kann eine Auskunft geben. Was machen?
Quant àmoi-j’ai recu encore (was mich betrifft, ich erhielt noch)… (unleserlich) toute (alle)… (unleserlich) à Carcassonne – dann war auch ich am Ende meiner Kraft. Man verschaffte mir falsche Papiere und ich fuhr nach Paris. Ich hoffe in drei Monaten nach Kairo überzusiedeln um dort einen Modesalon zu eröffnen.
Liebe Ma, ecrivez moi bientot – je vous embrasse de tout mon affection (schreiben Sie mir bald, ich umarme dich mit all meiner Zuneigung),
Gerdi.“